Lebe ich für die Arbeit? Oder arbeite ich um zu leben? Das ist hier die Frage.

Die eigenen Grenzen beachten – an das eigene Limit zu gehen, ist der Ausnahmefall für den Notfall – unsplash/Jan Canty

Lieberlangsam zu leben bedeutet für mich, meine eigenen Grenzen zu kennen. Ja, nicht nur zu kennen, sondern: zu akzeptieren, anzunehmen und meine Prioritäten entsprechend zu setzen. Grenzen zu akzeptieren heißt ganz sicher nicht, stets innerhalb selbigen zu verbleiben – seine Grenzen zu erweitern im Sinne von ‚bewusst die Komfortzone verlassen‘ ist eine gute Sache. Aber dauerhaft über die aktuellen eigenen Grenzen hinauszugehen – sie/sich zu verletzen – geht eben nicht.

Natürlich hatte ich mir vorgenommen, diese Gedankengang-Beiträge zumindest in seiner Anfangsphase noch ein Weilchen mit ca. 1,5 Beiträgen pro Woche zu bestücken. Aber dann kam zu den bisherigen Aufgaben rund um die Veröffentlichung der beiden Musikalben nachtgesang und ZERO auch noch der Semesterbeginn und damit mein musikwissenschaftliches Seminar hinzu.

Und da waren sie dann, die Grenzen… Noch einen Gang raufschalten? Um die selbstgesteckten Ziele zu halten? Oder runterschalten, um der selbst Willen? Anhand der [Erst-]Veröffentlichungsdaten der LLL-Gedankengänge wisst Ihr, wofür ich mich entschieden habe.

Für mich ist das ein altes und wiederkehrendes Thema:

  • Richte ich mich nach meinen Aufgaben/Zielen – und habe erst frei, wenn sie erledigt sind? Oder:
  • Arbeite ich das runter, was geht – und alles weitere bleibt dann eben liegen?

Anders ausgedrückt: Haben meine Aufgaben oder ich selbst Priorität?

Früher war ich definitiv Typ A – und diesen Typen (also mein damaliges ‚ich‘) würde ich rückblickend als Workaholic bezeichnen. Inzwischen habe ich mich zum Glück zu Typ B weiterentwickelt. Meistens gelingt es mir. Und vor allem schaffe ich es, nach einem kurzen Schritt in den Turbo (der ja mal kurzfristig notwendig sein kann) schnell wieder auf den Normalbetrieb zurückzuschalten. Das war früher definitiv anders. Ja, man kann Vater eines Säuglings sein, seine Examensarbeit schreiben und ein neues Musikalbum aufnehmen. Muss man aber nicht.

Mein Eindruck ist, dass sehr viele Menschen ständig ‚am Limit‘ sind, dass das Limit oftmals zum Normalfall geworden ist. Und ‚bewusstlos‘ gar nicht mehr als Limit wahrgenommen wird. (In dieser Logik sind die Grenzen das was vernünftig ist und das Limit das was möglich ist.)

Versuch mal Dich mit so einem ‚Limiter‘ zu verabreden… das wird nicht einfach.

Und wenn Du den ‚Limiter‘ tatsächlich treffen solltest. Ob das atmosphärisch was mit Hygge zu tun haben wird? (>> LLL-Gedankengang Hybris vs Hygge / Hygge contra Hybris)

Gehen wir mal kurz auf die Wortspielebene: Ein ‚Limiter‘ limitiert sich selbst, d.h. er lebt nicht in vollen Zügen.

Und, auch ganz spannend: Nach meiner Beobachtung neigt ein solcher Mensch zur Vermeidung des ‚Ich‘ und tendiert zum Konditional: Man müsste, man sollte, man könnte…

Hallo? Gehts noch? Lebst du um zu arbeiten oder arbeitest du um zu leben?

Oder, noch besser, umgedreht: Arbeitest Du um zu leben oder lebst du um zu arbeiten?
Ja, tatsächlich: Sein oder Nichtsein? Das ist hier die Frage.

Wenn wir von der Arbeit gefordert werden, kommen wir uns tendenziell gebraucht und wichtig vor (was Arbeitgeber:innen SUPER finden!)… gesteigert wird dieses etwas rätselhafte Phänomen dann noch durch den grassierenden ‚Dringlichkeitskult’…

Mal Klartext: Das Leben zugunsten der Arbeit immer wieder beiseite zu schieben ist: Raubbau. Raubbau ist: kurzsichtig. Und wenn wir nur in einem Zeithorizont von Minuten oder Stunden denken, dann geht es um ebenso kurzfristige Bedürfnisbefriedigung. Das nennt man dann wohl ’süchteln‘. Die Trost-Zigarette, das Trost-Fastfood, die Trost-Chips… Nächster Schritt: Um im Hamsterrad zu bestehen, gönnen wir uns etwas. Ein Wellnesswochenende? Nächstes Jahr einen Wochentrip nach… … … Dubai?

Im Ernst: Das Limit ist für die Krisen da. Unter ‚Krise‘ fallen Dinge, die mit Stichwörtern wie Krankenhaus, Gesundheit und Familie verknüpft sind. Wenn keine Krise da ist, dann sollten wir auch nicht dauerhaft am Limit arbeiten. Schon deshalb, um für den Fall der Fälle eben noch Reserven zu haben.

Wenn also unser Job ständig und pausenlos das Limit erfordert. Was bedeutet das dann?

Marc Pendzich.


Dieser Gedankengang erschien erstmals am 3. November 2017. Zuletzt geändert am 22. April 2022.


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Quellen und Anmerkungen

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Winnemuth, Meike (2017): „Einfaches Glück. Endlich unbeschwert. Mach dein Leben leichter!“. in: Stern online.

Quellen:

Der Begriff „Dringlichkeitskult“ wurde inspiriert von der französischen Psychologin Nicole Aubert, die einen „Kult der Dringlichkeit“ in diversen Branchen ausmacht.

  • vgl. Ernst, Heiko (2016): „Tempo! Tempo!“ in: Psychologie Heute compact: Das gelingende Leben. Heft 45. 2016. S. 15.

Das Zitat „Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage“ (englisch: To be, or not to be, that is the question) stammt aus


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