So, jetzt wird’s gruselig.
Jean-Baptiste Joseph Fourier, einer DER historisch bedeutendsten Physiker – er kommt „in jedem Schulbuch“ vor – schrieb 1824:
„[D]ie Auswirkungen der menschlichen Industrie und alle versehentliche Änderungen der Oberflächen der Erde ändern die Temperaturen in jedem Klima. … [E]s sind die Auswirkungen auf die Temperatur zu beobachten, die sich von denen unterscheiden, die ohne den Einfluss der zusätzlichen Ursachen auftreten würden.“ (zitiert nach Ebel 2014, Punkt 50, Übersetzung: Jochen Ebel, ich habe es in Originalsprache überprüft1)
1824?
Achtzehnhundertvierundzwanzig.
Napoléon war seit drei Jahren tot. Beethoven schraubte an seiner neunten Symphonie und hatte noch drei Jahre auf diesem Planeten. Es sollte noch acht Jahre dauern, bis in Hamburg eine erste Eisenbahnstrecke eröffnet würde (1842: Hamburg – Bergedorf).
Strom bzw. Licht? Nope. Edison war noch nicht mal geboren (*1847).
1824 – das war zur Lebzeit meiner Ur-ur-ur-ur-Großmutter.
Mir folgt auch schon eine erwachsene Generation. Fouriers Bemerkungen wurden also vor rund acht Generationen getroffen2.
Also, nocheinmal ganz vorn auf die Zungenspitze gepackt:
- 1824 hat mit Joseph Fourier ein damals wie heute namhafter Wissenschaftler beschrieben,
- dass er auf Basis seiner verschiedenen Forschungen, die zahlreiche bahnbrechende, bis heute die Physik leitende Ergebnisse hervorbrachte, der Auffassung ist,
- dass der Mensch
- durch Eingriffe in die Natur – d.h. durch Änderungen der Erdoberfläche (z.B. durch Rodungen, Tagebau, Landwirtschaft, Verstädterung) und durch die Industrie (z.B. Verbrennung zur Energiegewinnung) –
- die Temperaturen auf der Erde bzw. das Klima verändert.
(Zur Frage: „Was wissen wir seit wann?“, „Wie ging es weiter nach Fourier?“ siehe Anhang3)
- dass der Mensch
Fourier schrieb also, dass der Mensch in der Lage ist, das Klima zu verändern, mit welchen Mitteln der Mensch das Klima verändert und auf Basis welchen grundlegenden physikalischen Vorgangs sich das Klima menschengemacht verändert.
Und wenn Sie jetzt den Kopf schütteln und denken: „Das kann doch nicht sein“. Dann haben Sie damit zwar absolut Recht, aber doch ist es so. Natürlich ist durchaus logisch, dass aus Fouriers Erkenntnis in der frühindustriellen Welt zunächst keinerlei Folgen erwuchsen, aber… aber…
OMG… und darüber wollen manche Menschen immer noch diskutieren, im Jahre 194 nach Fourier… so war auf Partys der letzten Jahre dann und wann noch immer dieser Satz zu vernehmen: „Darüber gibt es aber zwei Meinungen.“
?
NEIN.
Gibt es nicht. Nope.
Was es aber gibt, ist:
Eine Menge „Sand im Getriebe“ durch sog. „Klimaskeptiker“, denn die Streuung von Zweifeln ist der fossilen Industrie jährlich über 900 Millionen US-Dollar wert:
„So beziehen … klimaskeptische Denkfabriken und andere Lobbygruppen – der Soziologe Rolbert Brulle bezeichnet sie als ‚Klima-Gegenbewegung‘ – insgesamt über 900 Millionen Dollar jährlich.“ (Naomi Klein 2015, 614)
Und weiter: So spendete allein
„ein Netzwerk anonymer amerikanischer Milliardäre zwischen 2002 und 2010 fast 120 Millionen Dollar an ‚Gruppen, die die Forschung zum Klimawandel in ein zweifelhaftes Licht rücken.'“ (ebd.)
Sowie:
„[I]n den Vereinigten Staaten hat die Öl- und Gasindustrie im Jahr 2013 knapp 400.000 Dollar pro Tag [ausschließlich] in die Lobbyarbeit bei Kongress- und Regierungsmitgliedern gesteckt.“ (Naomi Klein 2015, 186, s.a. LLL-Fußnote 4)
$400.000x365Tage=146.000.000 Dollar/Jahr per Pipeline direkt ins US-Regierungsviertel.
Was hat das mit Demokratie zu tun?
Dazu wird in DiCaprios Doku „Before The Flood“ (2016) folgendes berichtet:
„We can’t get a Climate bill passed through the Congress because it’s controlled by fossile fuel funded Climate change deniers who are blocking any bills that attempt to deal with this problem. There are 131 climate deniers in Congress and 38 climate deniers in the Senate.“ (Filmminute 26)
Da kam dann auch kein Barack Obama gegen an, der – wie im vorigen Gedankengang ausgeführt – die Zeichen der Zeit deutlich erkannt hat.
Allein diese o.g. Dagobert-Duck-Geldspeicher-Geldmengen müssen uns davon ausgehen lassen, dass die Klima-Nachrichten dieser Welt ohne diese heftige und funktionierende Beeinflussung deutlich andere wären – die Nachrichten und auch die Politik würden gewissermaßen 900-Mio-Dollar-anders aussehen. Was dramatisch ist.
Die Gegenbewegungs-Gegner (Greenpeace, WWF, Forschungsinstitute etc.) sind hingegen mutmaßlich – ich habe keine Zahlen, aber eine düstere Vermutung – für den „Kampf in den Medien und Regierungsvierteln“ im Vergleich dazu finanziell ungefähr so aufgestellt, dass es der Portokasse von Exxon, Chevron, Shell, BP etc. entspricht. Na toll.
900 Mio US-Dollar sind, wie an den „Erfolgen“ der Anti-Planeten-Lobby zu sehen, aus deren Sicht sehr gut investiertes Geld. Und – auch wenn die Leserin/der Leser jetzt erstaunt sein mag: jährlich 900 Mio US-Dollar sind nicht soooo viel….
… gemessen an rund 100 Milliarden Dollar Gewinn pro Jahr der großen Mineralölkonzerne5. Mal ganz grob gerechnet ist das ein Reinvestment von etwa einem Prozent. Da ist also noch deutlich Luft nach oben.
Daneben schiebt man weiterhin Projekte unvorstellbaren Ausmaßes an (vgl. LLL-Anmerkungen zum Ölsandabbau in Alberta Sands, Canada). So investiert die
„Chevron [Cooperation] … voraussichtlich 54 Milliarden Dollar in die Gasförderung auf Barrow Island, ‚einem Naturreservat erster Güte‘ vor der Nordwestküste Australiens… Einer von Chevrons Partnern bei diesem Projekt ist Shell, das Berichten zufolge noch einmal zehn bis zwölf Milliarden Dollar in den Bau der größten jemals realisierten schwimmenden Offshore-Bohrinsel (länger als vier Fußballfelder) steckt, um an einer anderen Stelle an der Nordwestküste Australiens Erdgas zu fördern. … Das Australienprojekt von Chevron soll mindestens dreißig Jahre lang Gas liefern, während die monströse Plattform von Shell mindestens fünfundzwanzig Jahre in Betrieb sein soll.“ (Klein 2015, 182)
Eine Offshore-Gas-Plattform in der Länge von vier Fußballfeldern? Im Jahr 2018? Habt Ihr sie noch alle?
Klar, wir brauchen auch künftig noch begrenzt Öl, z.B. für so manches Plastikprodukt. Aber wozu grenzenlose Investitionen in gigantomanischer Dimension? Ich denke, dass ist nicht schwer zu erraten: Um Fakten zu schaffen, um ein Bremsen des fossilen Ozeanriesens zu verhindern, um Macht zu demonstrieren, um vermeintlich „too big to fail“ zu sein – und: um im Falle eines zukünftigen politischen Umschwunges gemäß der Neoliberalismus-Freihandelslogik über Schiedsgerichte etc. statt über Öl via Schadensersatz Geld zu verdienen6.
Angesichts der Feststellungen der vorigen Absätze denke ich, dass der Satz „Geld regiert die Welt“ besser durch „Geld zerstört die Welt“ ersetzt werden sollte.
Doch: Was folgt daraus? Da Geld bzw. das Geldsystem, wie es zurzeit funktioniert, ein wesentlicher Teil des Problems ist – muss wohl auch hier der Hebel angesetzt werden.
Zurück zum Lobbyismus: Die Fossilen spielen im Grunde genommen dasselbe Routinespiel wie immer, wenn es um die Verteidigung eines gesundheitsschädigenden Geschäftsmodells geht. Sie machen exakt das, was die Tabakindustrie ihnen jahrzehntelang so ungeheuer erfolgreich vorgemacht hat und was sich seither in vielen anderen großindustriellen Branchen wie Pharma, Gentechnik etc. pp. immer wieder aufs Neue bewährt. Same procedere as every time. Nur das es jetzt tatsächlich nicht mehr um einen (schmerzhaft großen!) Teilbereich (und jedes einzelne Opfer ist eines zu viel!), sondern ums Ganze. Nicht um die Erde – der Erde ist das alles vollkommen egal, sie weiß von alledem nichts – es geht um die Menschheit wie wir sie kennen – und mit ihr um unsere Kinder, Kindeskinder und eine Vielzahl der zeitgenössischen Tier- und Pflanzenarten.
Nach meiner Überzeugung sollten wir NIEMALS Menschen Glauben schenken, deren Abermilliarden-Geschäftsmodell in Gefahr gerät. Warum neigen wir dazu? Weil die Leute „es geschafft haben“ und deshalb „wichtig“ wirken? Weil sie einen Anzug tragen? Weil sie „Erfolg“ verkörpern, was auch immer das sein soll? Weil sie Medien-Echo erhalten? Als „Experten“ in TV-Talkrunden auftreten?
Nee, davon sollten wir uns nicht beeindrucken lassen.
Viel mehr gilt: Wo zu viel Geld drinsteckt, da geht als erstes die Wahrheit baden.
Wer sich offensichtlich kaufen lässt, hat ganz sicher nicht unseren Respekt verdient. Und erst recht nicht, dass wir ihm zuhören.
Natürlich sollten wir auch den Gegnern dieser Konzerne (und/oder irgendwelchen geisteswissenschaftlich-promovierten Schreiberlingen wie mir!) nicht blind vertrauen, aber wenn wir es mit einer Wahrheit zu tun haben, die prinzipiell seit 1824 bekannt ist und seitdem über viele Jahrzehnte wissenschaftlich mit schier unendlich vielen und dabei mit immer in die gleiche Richtung weisenden Daten untermauert wurde (vgl. Fußnote 3), und gesichert ist wie kaum etwas anders auf der Welt, dann ist die Sache irgendwann mal definitiv und endgültig ausdiskutiert.
Marc Pendzich.
PS: Dieser (sehr) kurze populärwissenschaftliche US-TV-Film aus dem Jahr 1958 macht mich sprachlos:
The Bell Telephone Science Hour im Jahre 1958 (!) über den Klimawandel (nur 1:54 min)
https://www.youtube.com/watch?v=qF9WdV8pUPk (Abrufdatum 4.7.2019)
Backgrounds: Bell_Laboratory_Science_Series#The_Unchained_Goddess_(1958) (Abrufdatum 4.7.2019)
Dieser Gedankengang erschien erstmals am 2. März 2018. Zuletzt geändert am 22. April 2022.
Weitere lebelieberlangsam-Beiträge zum Thema:
- Zur Frage, warum wir – Einzelpersonen und auch Staaten – nichts (bzw. viel zu wenig) tun:
Unser Beziehungsstatus mit dem Klimawandel: „Es ist kompliziert.“ - „Ich glaube, dass die meisten Menschen in den Industrienationen noch nicht einmal annähernd verstanden haben, worauf wir uns da gerade einlassen…“: Kommen wir zur: Unbequemen Wahrheit.
- „Ich brauch das alles nicht. Heute: Lobbyismus“
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