Das Hamsterrad – und wie wir da rauskommen.

Hamster ohne Rad – vermag ein kreatives Leben zu führen nach seinem Gusto – slow down – unsplash/Nick Fewings

In einem der vorigen LLL-Gedankengänge habe ich mal – bewusst klischeehaft – eine typische „(obere-Mittelschicht-Wir-haben-es geschafft-)Normbiografie in D“ nachgezeichnet – und fürchte, nicht besonders stark übertrieben zu haben…

Das Absurde an alledem ist, dass ein solches Leben – so sehr es angestrebt wird – die meisten von uns nicht wirklich zufrieden macht…

Naja, wer fühlt sich schon in einem Hamsterrad wohl?

Freiheit geht anders.

Also, werfen wir noch einen genaueren Blick auf das Hamsterrad – und auf die m.E. einzige Möglichkeit, ihm wirklich zu entkommen:


Teil 1: Unzufriedenheit durch Abhängigkeit.

1a Unzufriedenheit.

Die Deutschen gaben 2015 1,3 Mrd EUR für Ratgeberbücher aus…1 dazu kommen dann noch x-Zeitschriften, die deutliche Ratgeberanteile haben – wie z.B. Psychologie Heute aber auch die vielen Geo/Spiegel/Zeit/Stern– Sonderhefte, die sich mit der Frage nach einem ‚guten Leben‘ auseinandersetzen.

Es gibt also folglich einen ziemlichen Beratungs- oder gefühlten Veränderungsbedarf.

Dabei scheint Veränderung ein schwieriges Thema zu sein, denn angesichts der Berge von Neuerscheinungen gibt es das eine Erfolgs-/Zufriedenheitsrezept offensichtlich nicht. Und genauso augenscheinlich sind die Probleme nach der Lektüre in der Regel nicht einmal annähernd gelöst – denn sonst müsste der Bedarf an Beratungsliteratur logisch gesehen nach einiger Zeit weniger werden, wenn wir davon ausgehen, dass nicht jedes Jahr jeweils vollkommen andere Menschen diese Ratgeber kaufen.

Wenn wir gleichzeitig annehmen, dass zufriedene Menschen eher selten zu Beratungsliteratur greifen, dann bedeutet das, dass es mit persönlicher Zufriedenheit in weiten Teilen der Bevölkerung Deutschlands – immerhin einem der wohlhabendsten Länder der Welt – nicht weit her ist.

Der Blick auf die Zahlen zum Thema ‚Zufriedenheit mit dem Job/der Berufswahl‘ bestätigt diesen Befund:

Die konkreten Resultate der einzelnen Quellen weichen zum Teil erheblich voneinander ab, aber ein gemeinsames Bild ergibt sich dennoch: Sehr viele Menschen – definitiv mehr als 2/3 –  sind mit ihrer täglichen Arbeit und/oder ihrem Beruf äußerst unzufrieden2. Für Viele bedeutet das, dass sie wochentags rund acht Stunden ihrer (Lebens-)Zeit in Dinge investieren, die sie nicht zufrieden machen… und dass sie weitere (Lebens-)Zeit pendelnd verbringen3, um zu dem Ort zu fahren, der sie unzufrieden macht. Gleichwohl ziehen offensichtlich nur sehr wenige unzufriedene Menschen die Konsequenz und wechseln ihren Arbeitsplatz/Beruf (Groll in ZEIT 2017, s.u.).

Warum ist das so?

Warum sind so viele Menschen mit ihrem Beruf/ihrem Arbeitsplatz so unzufrieden… wir haben doch freie Berufswahl? Und selbstverständlich können wir abstellen, was uns unglücklich macht?

Also: Warum ändern viele Menschen nicht, was sie (heftig!) unzufrieden macht?

1b Unzufriedenheit durch Abhängigkeit.

Eine Antwort lautet: Weil sie sich vom ‚Brotjob‘ abhängig fühlen. Wenn wir uns von etwas (z.B. finanziell) abhängig fühlen, dann sind wir Menschen recht empfindlich und tendenziell passiv (‚passive-aggressive‘).

Wenn es dann dort, wo wir uns abhängig (also: nicht selbstbestimmt) fühlen, nicht so läuft wie wir uns das vorstellen, sind wir schnell in der Bredouille, vermeintlich nicht viel ändern zu können und gewissermaßen ‚gefangen‘ in den Umständen zu sein:

Hinter dem so verdienten monatlichen Lohn stehen eben auch die Lebenspläne, in die wir – oftmals mit dem ersten ‚richtigen‘ Job – begonnen haben zu investieren: Haus, Kredite, Familie, Besitzstand jeglicher Art, teure Hobbys… (vgl. Beitrag „(obere-Mittelschicht-Wir-haben-es geschafft-)Normbiografie in D“)

Das bedeutet auch, dass der Job alleine deshalb unzufrieden machen kann: nicht weil er bescheuert ist, sondern weil er in Abhängigkeit ausgeführt wird, was grundsätzlich eine ungünstige psychologische Konstellation ist.

(Einmal kurz festzuhalten ist an dieser Stelle: Selbstverständlich gibt es zum Glück auch viele Menschen, die mit ihrem Job trotz der hier beschriebenen Abhängigkeit zufrieden sind und diese nicht oder nicht so stark empfinden. Aber um diese Menschen brauchen wir uns ja hier keinen Kopf zu machen.)

Und wenn wir unsere Ausgaben hochschrauben, weil es das Einkommen erlaubt, wächst auch die Abhängigkeit. Das alles macht uns unfrei – wir stecken

  • in dem Job-Hamsterrad, in welchem wir zu funktionieren haben – und gleichzeitig auch noch gewissermaßen
  • in einem zweiten Hamsterrad, in dem sich alles darum dreht, all die Dinge, die angeblich zu einem gelungenen gesellschaftlichen Dasein gehören, anzuschaffen und zu unterhalten (vgl. dazu den Beitrag „Die wahren Kosten von Besitz“ auf myMonk.de)4.

Und meist haben wir uns darüber hinaus – im Sinne des Sofort-haben-wollens – einige kleine und auch weniger kleine Posten wie 1000-Euro-Kaffeemaschinen, Autos oder vielleicht sogar eine Eigentumswohnung auf Kredit zugelegt, was das Hamsterdings endgültig zum rotieren bringt…

Womit wir bei der Frage angekommen sind: Was ist ein Kredit? Ich meine: genaugenommen?


Teil 2 Unzufriedenheit durch Abhängigkeit, verstärkt durch Schulden/Kredite.

Okay, was ist ein Kredit? Ich meine: genaugenommen?

Ein Kredit ist der Tausch von zukünftiger Arbeitsleistung gegen einen Nutzwert in der Gegenwart (ein Gegenstand, ein Haus, eine Reise). Es handelt sich um ein Geschäft, mit dem wir uns via Zinsen Geld erkaufen, d.h. wir kaufen etwas mit diesem gekauften Geld, was wir uns in diesem Moment nicht leisten können und zahlen nicht nur mit unser Zeit (die wir nachfolgend arbeitend verbringen) in der Zukunft, sondern aufgrund der Zinsen sogar mit Mehrarbeitszeit.

(Wobei uns unbekannt ist, ob der betreffende Nutzwert zum Zeitpunkt der Abbezahlung überhaupt noch vorhanden ist – das so erworbene Auto könnte längst kaputt sein.)

Nun kann das keine Rede gegen jegliche Kreditaufnahme sein, denn wenn man z.B. ein Startup hochziehen möchte, dann bedarf es der Investition… auch ein Haus wird kaum jemand aus der ‚Portokasse‘ per Bargeldkoffer bezahlen können.

Aber es ist wichtig, sich das Wesen eines Kredits klarzumachen. Und dieses Wesen ist definitiv ein ganz anderes, als uns die zahlreichen Kreditfirmen, die gerne Worte wie „Sofort“, „Easy“ oder „24“ im Namen tragen, die Slogans à la ‚jetzt Kaufen – später zahlen‘ und die angeblichen ‚Nullprozentfinanzierungen‘ der Möbel-, Auto- und Technikverkäufer weis machen wollen: Wir zahlen mit verpfändeter Zeit, wir schränken unsere künftigen Handlungsoptionen ein, wir zahlen mit unserer künftigen Freiheit – und ernsthaft, das sollten wir nicht leichtfertig machen.

Ich für meinen Teil lebe aus Prinzip (schon allein deshalb: ohne Immobilie) und schon immer mit Bedacht schuldenfrei, was man dann bedauerlicherweise daran merkt, dass ich mir nicht ständig Videoclips oder größere Marketingkampagnen für meine Musik leiste. Man könnte nun argumentieren, dass dieses Investment sich lohnen würde, weil ich möglicherweise (sehr wichtiges Wort!) mit meiner Musikkarriere schneller vorankäme und sich so ein ‚Payback‘ einstellen würde.
(Jetzt sind wir quasi bei der guten alten Heinrich-Böll-Geschichte vom dösenden Fischer, der genötigt wird, sein Unternehmen zu vergößern, damit er endlich richtig dösen kann, siehe Anhang5.)

Aber ich lebe im jetzt, ich weigere mich, meine Zukunft festzulegen:
Ich leiste mir nur, was ich mir leisten kann.

Es ist sehr spannend zu sehen, dass Zinsgeschäfte zu allen Zeiten, und hier besonders im Mittelalter, sehr skeptisch betrachtet wurden. So hält Tom Hodgkinson in seinem inspirierend freundlich-anarchistischen Buch „Die Kunst, frei zu sein“ fest, dass „der Geldverleih gegen Zinsen – oder Wucher – für niemanden in Frage [kam], dem [am Ende seines Lebens] ernsthaft an seiner Erlösung gelegen war. … Der Grund … [lag] darin, dass Zeit als Gottesgeschenk galt und deshalb nicht gekauft oder verkauft werden durfte“ (2009, S. 120)6. (Auch „Momo“ lässt hier grüßen…)

Hodgkinson führt weiter aus:

„Außerdem muss man begreifen, dass Banken begeistert sind, wenn man Schulden macht. Das lieben sie über alles, weil es ihnen viel Geld einbringt. Deshalb werden wir dauernd zu unbesonnenen Ausgaben ermutigt und aufgefordert einen Traumurlaub oder ein neues Auto… mit unserer Kreditkarte zu finanzieren. Deshalb geben die Wucherer so hohe Summen aus, um ihre ‚Finanzdienste‘ – wenn das kein Euphemismus für Wucher ist! – in der Fernsehwerbung anzupreisen. … Überhaupt ist jede Werbung, die uns zum Geldausgeben auffordert – was die meisten tun -, kostenlose Reklame für die Banken, denn je mehr wir ausgeben, desto mehr verdienen sie.“ (2009, 125)

Und dann kommt auch Hodgkinson darauf, dass Schulden „das Gefühl vermitteln [können], man trage Bleistiefel… Wir machen die Schuldenrückzahlung zur Priorität… Deshalb bleiben wir schließlich in unserem Sklavenberuf… Du verschuldest dich, und dann sitzt du da in deiner verhassten Tätigkeit fest…. Das ist nützlich für das System, denn es bedeutet, dass die meisten von uns mehr oder weniger ruhiggestellt sind und weiterschuften.“ (2009, S. 126)

Ja, wow.

Ist Letzteres DIE Antwort auf die Frage, warum zu viele Menschen – obwohl für eine funktionierende Demokratie unabdingbar – für gesellschaftlich relevante Dinge, für wichtige Zukunftsentscheidungen unseres Landes, von Europa, der Welt – für die Frage:

‚Wie wollen wir leben auf diesem Planeten?‘

so gar keinen Kopf haben? (Wie bitter ist das eigentlich???)

Und wenn das so ist, dann müssten Firmen, Banken, Unternehmen, Unternehmer, gewisse Bleibt-alles-so-wie-es-immer-war-Politiker eigentlich ein grundlegendes Interesse haben, dass wir Bürger aufgrund von Schulden quasi ‚mitmachen‘ müssen aufgrund von Schulden bzw. mangels Zeit/Kopf/Energie für Alternativen?

In den USA ist ein Großteil der Hochschulabsolventen aufgrund der fünfstelligen Jahres-Studiengebühren (12.000 – 40.000 US-$7, vgl. massiv verschuldet, manche zahlen jahrzehntelang ihre Kredite ab. Das bedeutet, noch bevor, diese Menschen ihren ersten hauptberuflichen Job haben, sind sie bereits im System gefangen… oder gar ruhiggestellt?

Besitzen Schulden allgemein und Haushypotheken bzw. Studienkredite im Besonderen letztlich eine systemstabilisierende Wirkung?

Das hat also: System.

Die gute Nachricht daran ist, wir können uns – zumindest solange wir nicht verschuldet sind – frei entscheiden ob wir das Systemspiel mitspielen – oder nicht.

Zwei finale Aspekte:

  • Ich gehe davon aus, dass es für alle Nicht-Beamten heute normal und absolut erwartbar ist, irgendwann im Verlaufe des Arbeitslebens mal zumindest eine zeitlang ohne Job zu sein.Und dann kommt die Bank.Und Sie bekommen von deren Mitarbeiter keinen Kaffee mehr angeboten, und der Ton wird rauer.
    Insofern ist die heutige Situation für Menschen mit eher nicht soooo sicheren Jobs eine eindeutig andere als zu Zeit Ihrer hauskaufenden Eltern, sodass zumindest aus meiner Sicht die Aufnahme einer hohen Hypothek sehr, sehr gut überlegt sein will.
  • Und wenn man schon Schulden hat? Dann stehen selbige bis zur Abzahlung der persönlichen Freiheit im Wege. So sieht das – wunderbar auf den Punkt gebracht und daher hier mit einem längeren Zitat bedacht – auch Robert Wringham in seinem Buch „Ich bin raus“ (2016):

„Schulden sind das Gegenteil von Freiheit. Wenn man jemanden 103.000 Euro schuldet, dann hat man ein Vermögen von minus 103.000 Euro. Jeden Tag, den man unter solchen Umständen arbeitet, verdient man kein Geld, sondern zahlt Schulden zurück. … Wenn Sie keine Schulden haben, dann haben Sie die Macht, einfach Ihren Arbeitsplatz zu verlassen und nie mehr wiederzukommen. … Kaufen Sie kein Haus für 300.000 Euro, wenn Sie keine 300.000 Euro haben. Gehen Sie nicht mit einer Kreditkarte einkaufen, wenn Sie weniger auf dem Konto haben, als Sie heute ausgeben wollen. Zahlen Sie immer bar und lassen Sie sich nicht in Abhängigkeiten verstricken. Aber für viele von uns ist es leider schon zu spät. …  Das entspricht zu hundert Prozent der neoliberalen Ideologie und den Grundlagen der Konsumwirtschaft: Eine Bevölkerung, die aus hoch verschuldeten jungen Leuten besteht, ist eine leichte Beute. … Sie müssen jetzt zuallererst mal Ihre Schulden tilgen, bevor Sie die Chance haben, in die Freiheit zu gelangen.“ (250-251)8

Frei assoziiert – und zum etwas entspannenderen Ausklang dieses Abschnittes- möchte ich dazu den Film „Larry Crowne“ (2011)9 mit Julia Roberts und Tom Hanks empfehlen, wo Tom Hanks irgendwann einfach keine Lust mehr auf die unangehmen Banktermine hat – und sein Haus der Bank „in den Rachen“ wirft, um endlich: frei zu sein. Und ab da geht es ihm: verdammt gut.

Womit die Lösung, wie wir aus dem Hamsterrad aussteigen können, schon angedeutet ist.


Teil 3a Unzufriedenheit durch Abhängigkeit, verstärkt durch Schulden/Kredite… und der Versuch, die Unzufriedenheit durch Simplify-„Zeitmanagement“ und Selbstoptimierung zu beseitigen.

Zurück zur „gefühlten Abhängigkeit“ und der damit einhergehenden Unzufriedenheit… da landen wir dann wieder bei der Beratungsliteratur, die die Sehnsucht nach Veränderung/Freiheit bedient. Und vielleicht ist diese Sehnsucht auf diese Weise im Zaum zu halten, weil wir uns mit dem Lesen ja zumindest ein Stück weit mit unserem Thema auseinandergesetzt haben. Also zumindest kurzfristig aktiv geworden sind: aus der passiven Ecke herausgekommen sind.

Eine spezielle Gattung dieser Beratungsliteratur sind Bücher, die suggerieren, über Selbstmanagement Zeit sparen zu können oder dadurch erfolgreicher zu werden. Bücher, die z.B. oftmals das Wort ‚Simplify‘ im Namen tragen10.

‚Vereinfache Dein Leben‘ meint hier allerdings keine radikalen Bruch mit dem Ist-Zustand, sondern vielmehr eine Optimierung des Alltags und Berufslebens um des ‚Weiter so‘, um der Karriere willen. Die Bücher wollen zeigen, wie man das Hamsterrad optimieren kann, um im Idealfall sogar noch schneller in diesem Rad laufen zu können.

Die Wahrheit über ‚Simplify & Co‘ ist, dass es nicht darum geht, dass Leben im eigentlichen Sinne zu vereinfachen, sondern besser zu managen, damit der Lebensstandard und der Status Quo gehalten wird. Es geht also nicht um die Rückkehr zum menschlichen Maß11. Es geht um mehr Erfolg in dieser Welt.

Wir haben es folglich nicht mit einer Lösung, sondern schon eher mit einer Falle zu tun.

Teil 3b Unzufriedenheit durch Abhängigkeit, verstärkt durch Schulden/Kredite… und der Versuch, die Unzufriedenheit durch Simplify-„Zeitmanagement“ und Selbstoptimierung zu beseitigen… doch die einzige Lösung liegt m.E. in Reduktion und bewusstem Verzicht.

Im geradezu brutalen Unterschied zum Simplify-Ansatz meint ‚Minimalismus‘ etwas völlig anderes. Die Definitionen mögen auch hier weit gestreut sein, aber ich denke, wir können uns grundlegend darauf verständigen, dass Minimalismus generell das Loslassen von materiellen Dingen/Ansprüchen sowie eine Vereinfachung /Reduktion durch bewussten Verzicht inmitten des grotesken Überflusses bedeutet.

Minimalismus zu leben ist eine Form von (in der Radikalität selbst gesteuertem) Aussteigen aus der Überflussgesellschaft – und bedeutet eine Reduktion der tatsächlichen Abhängigkeit vom Job.

Apropos Reduktion der Abhängigkeit vom Job: Damit ist garantiert NICHT gemeint, nicht oder nur wenig zu arbeiten oder gar „faul“ zu sein (wobei auch dieses Recht ein jeder hat, selbst wenn das Manchem nicht gefällt), es geht darum, einer Arbeit und Aufgabe nachzukommen, die zu uns passt und deren Wert sich nicht vorrangig über das daraus resultierende Gehalt definiert. Anders ausgedrückt: AchtStundenTäglich – sollte man nicht dafür sorgen, die Mehrheit seiner täglichen wachen Stunden mit einer ausfüllenden und zufriedenstellenden Tätigeit zu verbringen?

Je weniger Besitz, je weniger materielle Ansprüche, je weniger „Karrieredenken“, je weniger hoch der sog. Lebensstandard – desto weniger tägliche, wöchentliche, monatliche und jährliche Verpflichtungen erwachsen uns.

Minimalismus bedeutet m.E. eine Rückkehr zu uns selbst – es ist ein zu-eigen-machen der Formel „Ich brauche das Alles nicht“ – eine Gedankenwelt, in der Prestigeobjekte, rätselhafte Angebereien à la „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“ keinen Platz und auch keinen Wert haben. In der es egal ist, dass der Nachbar sich ein neues Auto angeschafft hat. In der demzufolge Geldausgaben auf Notwendiges und wirklich, wirklich persönlich bedeutsame Dinge reduziert sind, weil Freiheit ein hohes Gut ist und die Gegenwart nicht auf Kosten der eigenen Zukunft gelebt wird.

Für radikales ‚Downshifting‘ spricht noch etwas:

Beratungsliteratur zu lesen, während man gerade mitten im System, im Hamsterrad steckt, mag beruhigend wirken – wirkliche Veränderung herbeizuführen, während man gerade mitten im System steckt, ist schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Tiefgreifende Veränderungen im laufenden System – das weiß auch jeder IT-Fachmann, sind zu vermeiden.
Ein Sabbatjahr ist in diesem Zusammenhang eine verdammt gute Sache – gleichfalls die Erkenntnis, dass wir selbst wichtiger sind als die Äußeren Dinge.

Unsere Gesellschaft gibt uns die Freiheit zu tun, was wir wollen. So viel Freiheit war nie. Aber es ist eine verdammt hohe Kunst diese Freiheit für sich zu nutzen und zum Beispiel das Sein über Leistung zu setzen, also: nicht im Kanon mitzusingen, sondern das zu machen, was wirklich zu einem passt.

„Sein statt Haben“ – so würde ich es formulieren.

„Zerschneide Deine Kreditkarte“ – so formuliert es Hodgkinson (2009, S. 134)

Marc Pendzich.

PS: Ein Schlussgedanke von Jiddu Krishnamurti:

  • „Es ist kein Anzeichen von seelischer Gesundheit sich an eine zutiefst gestörte Gesellschaft anpassen zu können.“12

Dieser Gedankengang erschien erstmals am 2. Februar 2018. Zuletzt geändert am 22. April 2022.


Weitere lebelieberlangsam-Beiträge zum Thema:


Quellen und Anmerkungen

Über das Phänomen „Zeit zu sparen durch Technik und doch immer gehetzter durchs Leben zu rauschen“:

Der Philosop Richard David Precht im Gespräch mit dem Soziologen und Zeitforscher Prof. Dr. Hartmut Rosa: TV-Sendung „Precht: Rasender Stillstand – beschleunigen wir uns zu Tode?“ vom 14.6.2015.


Quellen:

1 ‚Buchmarkt in Deutschland‘: 2015: 9,188 Mrd EUR Gesamtumsatz, Umsatzanteile 1. Beletristik 32,1%, 2. Kinder-/Jugendbuch 15,8%, 3. Ratgeber 14,3% = 1,31 Mrd EUR vgl.

2 Zahlen zu ‚Unzufriedenheit im Job‘:

Däfler, Martin-Niels (2017): „Zwei Drittel aller Beschäftigten sind unzufrieden“. in FAZ 17.3.2017

Fichter, Alina (2013): „Bitte umsatteln. Viele Menschen wählen den falschen Beruf. Und dann?“ in: DIE ZEIT 24.10.2013

Groll, Tima: „Kündigen oder bleiben. Die meisten Deutschen sind im Job frustriert. Trotzdem wechseln nur die wenigsten ihren Arbeitsplatz, stellt eine neue Studie fest. Warum?“ in. DIE ZEIT 29.3.2017  (Abrufdatum: 23.10.2017)

Der Club of Rome erwähnt in seinem Bericht „Wir sind dran“ von 2017: „Millionen Menschen hassen ihre Arbeit“ (196) und verweist auf die Studie

3 Thema „Pendeln, um zu dem Ort zu fahren, der uns unzufrieden macht“ vgl.

Pendzich, Marc (2017): „Der OMG des Tages. Zeitfresser Nr. 1: Pendeln“. in:

  • xxxxxx

4 Verweis auf
MyMonk.de, Beitrag „Die wahren Kosten von Besitz“

Schlenzig, Tim: „Die wahren Kosten von Besitz“ 24.10.2017. in: myMonk.de (Abrufdatum: 25.10.2017)

  • … Es ist eben nicht nur das Kaufen und Besitzen, sondern auch das Warten, Reparieren, das Darum-Kümmern etc. pp.

5 Thema „Die gute alte Heinrich-Böll-Geschichte vom dösenden Fischer, der genötigt wird, sein Unternehmen zu vergößern, damit er endlich richtig dösen kann“

Heinrich Böll (1963): ‚Vom dösenden Fischer, der genötigt wird, sein Unternehmen zu vergößern, damit er endlich richtig dösen kann‘: Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral; siehe:

6 Zitate aus
Tom Hodgkinson (2009): Die Kunst, frei zu sein. Handbuch für ein schönes Leben. Heyne.

  • Wenn bereits ein kleiner ‚Anarchist‘ in Dir schlummert, weckst Du ihn garantiert mit diesem Buch.

7 Thema „Studiengebühren in den USA betragen 12.000 bis 40.000 US-$ pro Jahr“

„Egal, ob College oder Universität, die teuersten Hochschulen in den USA kosten bis zu $40,000 pro Jahr allein an Studiengebühren. … Viele kleinere, regionale Universitäten mit hervorragendem Ruf veranschlagen „nur“ etwa $12,000 bis $18,000.“

  • Quelle: http://www.educationusa.de/kosten-eines-studiums/  (Abrufdatum: 10.2.2018)

Immerhin, hier gibt es nach Angaben des SPIEGELs möglicherweise eine Trendwende zu verzeichnen:

… was positiv ist, aber selbstredend nicht ganze Generationen von US-Bürgern von Schulden befreit.

8 Zitat aus
Wringham, Robert (2016): Ich bin raus. Wege aus der Arbeit, dem Konsum und der Verzweiflung. Heyne.

  • Robert Wringham zur Frage „Was ist wichtig im Leben?“:

„Wenn man alt wird oder mit dem Tod in Berührung kommt, erkennt man, dass das Wichtigste im Leben die Gesundheit, Freundschaft, Freizeit und Ehrlichkeit sind. Schon erstaunlich, dass die Menschen erst eine Grenzerfahrung machen müssen, um das zu kapieren. … Wir halten unsere Gesundheit, unsere Freunde, unsere Freizeit und unsere Entscheidungsfreiheit für eine Art Trostpreis, dabei sind es Grundbedürfnisse.“

https://www.randomhouse.de/SPECIAL-zu-Ich-bin-raus-von-Robert-Wringham-Heyne-Encore/Robert-Wringham-im-Gespraech/aid68346_13359.rhd (Abrufdatum 16.2.2018)

9 Film Larry Crowne (2011), mit Julia Roberts und Tom Hanks, siehe

10 Thema „Beratungsliteratur à la Simplify“

Vgl. dazu die Doku Speed – auf der Suche nach der verlorenen Zeit (2011), die auch als gleichnamiges Buch von Florian Opitz veröffentlicht wurde. Hier besucht Optiz ein Zeitmanagement-Seminar des „Zeitmanagementpapst[es]“ the „one and only“ Prof. Dr. Lothar Seifert. (2011, S. 36)

11 Thema „Rückkehr zum menschlichen Maß“: Ein Gedanke aus

Niko Paech (2012): Befreiung vom Überfluss. Auf dem Wege in die Postwachstumsökonomie. oekom Verlag.

  • Hier  geht es maßgeblich um die Erkenntnis, dass unsere Lebensweise eben nicht normal ist, sondern Kennzeichen einer Überflussgesellschaft ist und die Rückkehr zum menschlichen Maß keine Beschänkung, sondern geradezu eine Befreiung darstellt.

12 Jiddu Krishnamurti, Zitat „Es ist kein Anzeichen von seelischer Gesundheit sich an eine zutiefst gestörte Gesellschaft anpassen zu können.“

https://books.google.de/books?id=Cps4DwAAQBAJ&pg=PT107&lpg=PT107&dq=Es+ist+kein+Anzeichen+von+seelischer+Gesundheit+sich+an+eine+zutiefst+gest%C3%B6rte+Gesellschaft+anpassen+zu+k%C3%B6nnen&source=bl&ots=laxN_cSIU1&sig=XO9ghlvzFm2icCFzoNFSLNtU5VU&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwiD7vm9qIvXAhUGChoKHQhnBuE4ChDoAQgqMAE#v=onepage&q=Es%20ist%20kein%20Anzeichen%20von%20seelischer%20Gesundheit%20sich%20an%20eine%20zutiefst%20gest%C3%B6rte%20Gesellschaft%20anpassen%20zu%20k%C3%B6nnen&f=false↩

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